Versteckte Kunst in Stuttgart – Nur wer es weiß, sieht sie
Unser Leben ist im ständigen Wandel. Doch manchmal lohnt es sich auch einen Moment aus dem stressigen Alltag auszusteigen und seine Augen zu öffnen für die versteckte Kunst in unserem schönen Stuttgart. Redakteurin Mathilda Dietze hat für euch drei Kunstwerke und deren Bedeutung entdeckt, die ihr wahrscheinlich noch nie wahrgenommen habt.
„An denen bin ich bestimmt schon 100 Mal vorbei gelaufen“
Wer aufmerksam durch die Straßen von Stuttgart läuft, hat wohl schon so manches Kunstwerk im öffentlichen Raum entdecken können. Alleine auf der Königstraße fallen mir vier große Skulpturen ein, an denen ich bestimmt schon „100 mal“ vorbei gelaufen bin. Aber es muss nicht immer die riesige Skulptur sein, die einen beeindruckt. Stuttgart hat auch kleine versteckte Kunst zu bieten. Und nur wer es weiß, sieht und findet sie auch. Deswegen stelle ich euch heute die drei „Minimente“ von Micha Ullman in Stuttgart vor.
Abendstern (von 1996)
Das Miniment Abendstern ist wohl das Bekannteste der drei Werke und befindet sich im direkten Zentrum der Stadt Stuttgart. An der Ecke am Schlossplatz, wo sich die Staufenberg- und die Bolzstraße treffen, gibt es eine halbkugelförmige Vertiefung in einer Gehwegplatte. Das kleine Löchlein ist 4cm breit und 2cm tief. Wahrscheinlich laufen jeden Tag hunderte Leute an der kleinen Vertiefung vorbei und bemerken sie nicht einmal. Doch wer sie einmal gefunden hat, wird durch ihre Wandlungsfähigkeit beeindruckt. Bei gutem Wetter funktioniert die Vertiefung als eine Art Uhr. Im Laufe des Tages zieht durch den Sonnenstand ein Schatten durch das Loch. An Regentagen hingegen reflektiert das Wasser in der kleinen Kuhle den Himmel wie ein kleiner Spiegel. Damit bündelt sich das große Ganze, also die Zeit und das Universum, in einem winzigen Loch am Schlossplatz und trägt dabei den Namen des hellsten Sterns am Himmel: der Abendstern.
Mahlzeit (von 2000)
Auf der Suche nach dem zweiten Miniment in Stuttgart muss man sich auf den Pragfriedhof begeben. Zwischen den Bäumen und Gräbern befindet sich auf einer kleinen Wiese eine Dolomitplatte mit runden Bohrungen. Auch hier finden wir wieder Vertiefungen in einer Platte, die an Gedecke und Gestirne erinnern. Diese einfache Platte mitten an einem eher verlassenen Ort spiegelt also erneut das große Ganze wieder und vielleicht eben auch ein Stückchen Himmel auf Erden: den Ort, wo die Seelen des Friedhofs sich aufhalten.
Neumond (von 1994)
Das Werk Neumond befindet sich auf dem Schlosshof des Solitude. Es handelt sich dabei um 29 kleine Mondphasenzeichen, die in einem großen Kreis in die Pflastersteine gebohrt wurden. Der Kreis mit seinen 16m Durchmesser ist Mondkalender und Sonnenuhr zugleich. Auch hier finden wir damit den universellen Eindruck in dem Werk wieder, welches sich auf die alten Orientierungssysteme bezieht. Und auch wenn heute kaum noch jemand eine Sonnenuhr benutzt oder sich für den Zyklus des Mondes interessiert, so sind sie immer noch da und beeinflussen das Leben der Menschen. Vielleicht dienen Ullmans Werke eben auch dazu: dass wir Menschen in unserem technisierten Zeitalter uns dem Lauf der Natur und der Zeit bewusst werden. Auch wenn sich in unserem Leben ständig etwas verändert, es werden trotzdem jeden Tag die Sonne und der Mond auf- und wieder untergehen.
Was sind die Minimente?
Die sogenannten Minimente sind eine Werkgruppe von Micha Ullman. Es handelt sich dabei um bescheidene skulpturale Eingriffe in die Umwelt. Durch einen minimalen Eingriff soll eine größtmögliche Wirkung geschafft werden. Dabei greift Ullman auf eine universelle, übernationale und überzeitliche Bildsprache zurück. Damit kann jeder Mensch, an jedem Ort, egal zu welcher Zeit das Werk verstehen. Meistens handelt es sich dabei um ein konkretes Zeichen, welches aber trotzdem noch Freiraum für Bedeutungen lässt.
Wer ist Micha Ullman?
Micha Ullman wurde in Tel Aviv geboren und war von 1991 bis 2005 Professor für Bildhauerei an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste in Stuttgart. Neben den eben vorgestellten Minimenten hinterließ er auch noch weitere Skulpturen in Stuttgart. Als Beispiel ist hier die „Schüssel“ auf dem Unicampus in Vaihingen zu nennen. Es handelt sich dabei um ein 30 Meter großes Sammelbecken, was zur Kommunikation und Begegnung einlädt. Außerdem gibt es nicht nur in Stuttgart die Minimente von Ullman, sondern überall auf der Welt. Damit hat Ullman, überall wo er mal war, einen Fingerabdruck hinterlassen und sich verewigt.
Autorin: Mathilda Dietze/Fotos: STUGGI.TV