Eine unerfahrene und insgesamt junge Mannschaft, die alles andere als souverän die Hürde zweite Liga genommen hat: Die Voraussetzungen vor dieser Saison bereiteten einigen VfB-Fans sicherlich Kopfschmerzen: Reicht die Qualität im Kader wirklich, um das Ziel Klassenerhalt zu erreichen? Die Skepsis im Vorfeld sollte sich als unberechtigt erweisen, denn die "Jungen Wilden 2.0" mischten das Oberhaus des deutschen Fußballs ordentlich auf. Im großen Saisonrückblick ziehen wir Bilanz und wagen einen Ausblick auf das kommende schwierige zweite Jahr Bundesliga.
VfB überrascht nicht nur die ganz Großen
Samstag, 12. Dezember 2020: Der VfB erzielt nach und nach die Treffer drei, vier und fünf gegen den späteren Champions-League-Viertelfinalisten Borussia Dortmund. In der Zeit vor Geisterspielen hätten die VfB-Fans den Signal-Iduna-Park nach diesem Kantersieg wohl zum Einsturz gebracht. Doch spätestens nach diesem Statement des Aufsteigers war klar: Lucien Favre muss seinen Posten beim BVB räumen und der VfB könnte eine richtig starke Saison hinlegen.
Aufstieg des VfB war lange Zeit in Gefahr
Ende Juni vergangenen Jahres war diese Entwicklung der „Jungen Wilden 2.0“ so noch nicht abzusehen. Der VfB beendete die Mission direkter Wiederaufstieg als Tabellenzweiter hinter Arminia Bielefeld zwar erfolgreich, die Darbietungen in der zweiten Liga bereiteten vielen Fans allerdings Kopfschmerzen angesichts der Qualität der Gegner im Oberhaus. Doch Trainer-Rookie Pellegrino Matarazzo schickte inklusive zahlreicher Bundesliga-Debütanten eine der jüngsten Mannschaften der Liga (23,4 Jahre) an den Start, die in den kommenden Monaten trotz fehlender Zuschauer mächtig für Furore sorgen sollte.
Unglücklicher Saisonauftakt weckt Erinnerungen
Dabei verlief der Start ähnlich wie in den vergangenen Spielzeiten, die 2016 und 2019 sogar im Abstieg des Traditionsvereins mündeten. Zum Auftakt machte der VfB zwar vieles richtig, verlor aber dennoch unglücklich mit 2:3 gegen den SC Freiburg. „Geht das denn schon wieder los?“, werden sich zahlreiche VfB-Fans nach dem Abpfiff gefragt haben. Mitnichten. Anschließend bleibt der Aufsteiger ganze sieben Partien ungeschlagen, ehe Ende November der Serienmeister FC Bayern dem VfB die Grenzen aufzeigt und die Schwaben dennoch für ihren mutigen, offensiven Fußball viel Lob einheimsen. Der Vorstandsvorsitzende Thomas Hitzlsperger spricht von einer „in vielerlei Hinsicht außergewöhnlichen Saison“, lobt vor allem den guten, attraktiven Fußball, den Stuttgart spiele. „Wir wollten die Leute begeistern, das ist uns gelungen“, so Hitzlsperger.
Erst No-Name-Truppe, jetzt in aller Munde
Diese Tugenden sollten sich fortan durch die ganze Saison ziehen, denn die Stuttgarter „Rasselbande“ versteckte sich auch vor großen Namen nicht. Sportlich wie personell ist beim VfB wieder ein klares Konzept zu erkennen. Sportdirekter Sven Mislintat verpflichtet vorwiegend junge Spieler, die am Neckar die nächsten Entwicklungsschritte gehen. Ob Tanguy Coulibaly, Silas Wamangituka oder Sasa Kalajdzic – allesamt Spieler, die zuvor nur absoluten Experten ein Begriff waren und sich nun durch Top-Leistungen in ganz Fußball-Europa einen Namen gemacht haben. Auch zukünftig setzt der VfB auf junge Spieler. „Wir wollen unsere jungen Spieler entwickeln, z.B. Luca Mack und Mo Sankoh, die schon erste Bundesliga-Minuten bekommen haben.“, sagt Hitzlsperger. „Natürlich soll der Weg der Spieler langfristig auch in die Nationalmannschaften führen, das hat der VfB in der Vergangenheit schon oft gezeigt.“
Saisonziel Klassenerhalt wurde frühzeitig erreicht
Der VfB kommt den Abstiegsplätzen nie wirklich nahe und spielt eine Saison im gesicherten Mittelfeld, wodurch hinter das erklärte Ziel Klassenerhalt recht schnell ein Haken gesetzt werden kann. „Unter dem Strich war es eine tolle Saison als Aufsteiger. Man sieht eine deutliche Entwicklung der Mannschaft“, bilanzierte VfB-Trainer Matarazzo nach dem Saisonfinale gegen Bielefeld (0:2). Trotz der theoretischen Chance auf Europa spielen die Schwaben am Ende um die „goldene Ananas“ – vielleicht das größte Kompliment, was man den Jungs nach den Aufs und Abs der letzten Jahre machen kann. „Wir sind ehrgeizig und wollen uns in der Bundesliga etablieren“, gibt Hitzlsperger als Ziel aus.
Platz neun in der Tabelle – nun kommt das schwere zweite Jahr
Mit Platz neun sowie der „Meisterschaft im Südwesten“ vor Freiburg und Hoffenheim können die Verantwortlichen durchaus stolz auf die zurückliegende Saison blicken. Doch darauf ausruhen sollte sich der Verein nicht, denn: Nach dem letzten Aufstieg 2017 war der VfB mit Platz sieben auch denkbar knapp an Europa vorbeigeschrammt, im Jahr darauf folgte der sang- und klanglose Abstieg. Der VfB ist also gewarnt: Die gute Saison muss man nun im zweiten Jahr bestätigen. Und das wird sicherlich nicht leichter. Schließlich habe man dieses Jahr „komplett überperformt“, so die Einschätzung von Mislintat. Auch Hitzlsperger bremst die Euphorie ein bisschen: Vor allem die beiden verlorenen Spiele gegen Bielefeld hätten gezeigt, dass es keine „kleinen“ Clubs gebe. „Wir sind gewarnt und müssen realistisch bleiben. Wir fangen nächste Saison wieder ganz unten an“, sagt Thomas Hitzlsperger. Der Club wolle natürlich in der Bundesliga bleiben, aber „dafür müssen wir hart arbeiten“.
Top-Stars heiß begehrt: Droht jetzt der Ausverkauf?
Darüber hinaus wird die Sommerpause für Sportdirektor Mislintat wohl zu einer großen Herausforderung. Mit mutigem und teils ansehnlichem Fußball haben sich die VfB-Stars auf die Notizzettel vieler Top-Klubs gespielt: Torhüter Gregor Kobel flirtet bereits heftig mit dem BVB, Kapitän Gonzalo Castro wird den Verein sicher verlassen und die Zukunft von Sasa Kalajdzic und Nicolas Gonzalez bleibt weiter offen. Zur Personalie Kobel sagte Hitzlsperger in der heutigen Pressekonferenz: „Ich habe noch nichts unterschrieben, das müsste zuerst passieren, bevor ein Wechsel überhaupt möglich ist.“ Erst dann werde man darüber sprechen. Zu einem regelrechten Ausverkauf, wie ihn viele Fans befürchten, soll es aber nicht kommen, da Mislintat ohnehin „am liebsten alle behalten“ würde.
VIDEO: So haben die VfB-Fans letztes Jahr den Aufstieg gefeiert
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Autoren: Felix Arnold, Johannes Frank
Foto: Adobe Stock