Großer Ärger wegen Bürgerhaushalt – Greift die Stadt zu stark ein?
Noch bis zum 8. März läuft die Bewertungsphase des aktuellen Bürgerhaushalts. Doch das Vorgehen der Stadt sorgt für großen Ärger bei den Bürgern. Das bekommt vor allem der Arbeitskreis Stuttgarter Bürgerhaushalt zu spüren. Dennoch ruft der Arbeitskreis weiterhin zur aktiven Teilnahme auf.
Abstimmung läuft
Bereits zum siebten Mal in Folge findet der Stuttgarter Bürgerhaushalt statt, der eine Win-Win-Situation erzielen soll: Die Idee ist, die Bürger in Entscheidungsprozesse einzubinden. Zudem erhalten der Gemeinderat und die Stadtverwaltung Entscheidungshilfen, welche Prioritäten im städtischen Haushalt gesetzt werden sollten. Seit dem 16. Februar können die Stuttgarter rund 1.700 Vorschläge für den Bürgerhaushalt bewerten. Noch bis zum 8. März ist die Abstimmung geöffnet. Die besten 100 Vorschläge werden anschließend von der Verwaltung geprüft.
Vermehrt Beschwerden über den aktuellen Bürgerhaushalt
Beim Arbeitskreis Stuttgarter Bürgerhaushalt sind in den letzten Wochen vermehrt Beschwerden über das Vorgehen der Stadt eingegangen. Und auch der Arbeitskreis macht seinem Ärger nun Luft. Bemängelt werden große Veränderungen im Vergleich zu den letzten Bürgerhaushalten. So ist der aktuelle Bürgerhaushalt nur noch digital verfügbar, die Bewertung über ein Papier-Formular ist nur noch in Ausnahmefällen möglich. „Vor allem ältere Menschen, die nicht computeraffin sind, werden hier benachteiligt“, sagt Patricia Sadoun, Sprecherin des Arbeitskreises Stuttgarter Bürgerhaushalt. Trotzdem ruft der Arbeitskreis weiterhin zur aktiven Teilnahme am Bürgerhaushalt auf.
Direkte Kommunikation mit der Stadt nicht möglich?
So werde die Beteiligung der Bürger eingeschränkt. „Wir hätten uns gewünscht, dass die Stadt so etwas im Vorfeld klar kommuniziert“, so Sadoun. Eine direkte Kommunikation mit der Stadt Stuttgart sei für die Bürger dieses Jahr nicht möglich. Auf der Seite des Bürgerhaushalts gebe es keine Kontaktangabe. Deshalb landen nun alle Beschwerden bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern des Arbeitskreises. Die kommen deshalb an die Grenzen ihrer Möglichkeiten und können nicht immer weiterhelfen. „Wir haben ja keine Einblicke in die Vorgänge der verantwortlichen Stadtkämmerei“, sagt Sadoun.
Stadtkämmerei weist Vorwürfe zurück
Die Stadtkämmerei weist die Vorwürfe auf Anfrage unseres Onlinesenders als haltlos zurück. „Beim Bürgerhaushalt 2023 wurde ganz überwiegend am bewährten Verfahren des vorherigen Bürgerhaushalts 2021 festgehalten“. Wesentliche Neuerung sei, dass im Herbst 2023 erstmals eine Aussprache der Gemeinderatsfraktionen zu den eingereichten Vorschlägen des Bürgerhaushalts geplant ist. „Zudem wurde aufgrund der positiven Erfahrungen aus 2021 daran festgehalten, den Bürgerhaushalt 2023 ganz überwiegend digital – ohne Unterschriftenlisten und ohne Informationsveranstaltungen in den Stadtbezirken – durchzuführen“, so die Stadtkämmerei. Weitere Änderungen bei Vorgaben oder Verfahrensabläufen gebe es nicht.
Zukunft muss online sein
Für Grünen-Stadtrat Florian Pitschel ist das Ziel klar: „Beim Bürgerhaushalt gilt online first, das muss die Zukunft sein“. Jedoch dürfe bei sowas niemanden ausgeschlossen werden. „Der Bürgerhausthalt soll ein wichtiges Instrument kommunaler Bürgerbeteiligung sein und muss immer weiter optimiert werden“, so Pitschel gegenüber STUGGI.TV. Es gebe öfters Diskussionen über rein digitale Angebote. „Da müssen wir dann eben Möglichkeiten schaffen“. Pitschels Vorschlag dabei ist aber nicht zum Papier-Formular zurückzukehren, sondern beispielsweise älteren Menschen einen Online-Zugang zu ermöglichen. Das müsse sich der Gemeinderat für die Zukunft genau anschauen.
Weniger Vorschläge als in den letzten Jahren
Viele Beschwerden der Bürger drehen sich um die Auswahl der Vorschläge, die nun zur Abstimmung stehen. 1.700 Vorschläge können bewertet werden, so wenige wie noch nie. Zum Vergleich: 2021 waren es noch 2.853 Vorschläge, 2019 sogar über 3.000. „Es ist schwer vorstellbar, dass in diesem Jahr so viel mehr ähnliche oder unrelevante Ideen dabei waren“, fasst Patricia Sadoun zusammen. Dazu stellt die Stadtkämmerei jedoch klar, dass der Verfahrensablauf seit 2021 ein wenig gestrafft wurde, um das Bürgerhaushaltsverfahren kompakter zu gestalten. Die Dauer der Vorschlagsphase belaufe sich seit dieser Anpassung auf 2 Wochen – zuvor waren es 3 Wochen. Das sei der Grund, warum die Anzahl der eingereichten Vorschläge ein wenig zurückgegangen sei.
Arbeitskreis wirft Stadt zu große Eingriffe vor
Dass ähnliche Vorschläge zusammenfasst werden, ist das normale Vorgehen. Der Arbeitskreis Stuttgarter Bürgerhaushalt wirft der Stadt jedoch vor, dass zum Teil „Vorschläge ohne Rücksprache mit den Betroffenen und ohne erkennbare Gründe aus dem laufenden Abstimmungsverfahren genommen“ wurden. Bisher seien die Bürger, deren Vorschläge zusammengefasst werden sollten, aber immer informiert worden und konnten Einspruch einlegen. In diesem Jahr seien die Bürger dabei übergangen und vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Die Stadt wehrt sich gegen die Anschuldigung.
Sondierung der Vorschläge durch externe Firma
„Bürgerhaushalts-Vorschläge können nur dann in die Planung des städtischen Haushaltsplans einfließen, wenn sie die städtischen Finanzen betreffen und im Zuständigkeitsbereich der Landeshauptstadt Stuttgart liegen“, teilt die Stadtkämmerei mit. Zwischen der Vorschlags- und Bewertungsphase prüfe deshalb ein externes und unabhängiges Moderatoren-Team (Firma buergerwissen aus Bielefeld) alle eingereichten Ideen. Vorschläge, die offenkundig nicht in den Zuständigkeitsbereich der Stadt fallen, die städtischen Finanzen nicht betreffen oder aufgrund ihrer sehr geringen finanziellen Auswirkungen nicht relevant für die Haushaltsplanung sind, werden in dieser Phase auf der Online-Plattform gesperrt. Die Vorschlagsautoren würden jedoch grundsätzlich von der externen Moderation des Verfahrens über entsprechende Änderungen informiert und können sich hierzu äußern. Rückfragen würden geprüft und regelmäßig beantwortet.
Pitschel: „Muss transparent und nachvollziehbar sein“
Der Arbeitskreis um Patricia Sadoun wünscht sich von der Stadt nachvollziehbare Kriterien und Argumente. In einem Bürgerbeteiligungsverfahren müsse der Bürger auch ernst genommen werden. „Hier wird der Bürger aber einfach abserviert“, stellt Sadoun klar. So sei jedenfalls der Eindruck bei vielen Stuttgartern. Unterstützung kommt in diesem Punkt von den Stuttgarter Grünen. „Es ist grundsätzlich wichtig, dass es bei so einem Verfahren eine ordnende Hand gibt, aber es muss transparent und nachvollziehbar sein, sodass der Bürgerhaushalt auch weiterhin eine hohe Akzeptanz bei den Bürgern hat“, sagt Stadtrat Florian Pitschel.
Gelbe Karte für die Stadt Stuttgart?
Wenn Vorschläge aufgrund fehlender finanzieller Auswirkung/Bedeutung für die Haushaltsplanberatungen aus dem Bürgerhaushaltsverfahren genommen werden, erhalten die Vorschlagenden die Anregung, ihre Ideen über das Beschwerdemanagement „Gelbe Karte“ an die Stadt zu senden. Die so eingereichten Anregungen werden direkt von der Verwaltung geprüft und beantwortet. Dabei befürwortet der Arbeitskreis Bürgerhaushalt grundsätzlich das Konzept mit der „Gelben Karte“. Hier werde die „Gelbe Karte“ aber als „Austricks-Element“ benutzt, „das ist unfair dem Bürger gegenüber und undemokratisch“, so Sadoun. Es gibt also noch Diskussionsbedarf, auch im Hinblick auf den nächsten Bürgerhaushalt.
VIDEO: Stuttgarter Grüne wollen Bürgerhaushalt noch bekannter machen
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Foto: STUGGI.TV