AfD-Gemeinderatskandidat Degler nahm an Gründungstreffen von Rechtsradikalen-Netzwerk teil
Das Netzwerk reicht bis nach Südamerika und Asien. Darin vertreten ist die Speerspitze rechtsradikaler Parteien – auch solche, die Erfahrung mit politischer Gewalt haben.
Das Netzwerk
Ein Spätsommertag im Oktober 2023: Junge Leute, hauptsächlich Männer, schwingen Golfschläger auf dem Golfplatz Cabre d’Or im südfranzösischen Aix-en-Provence. Eingeladen hatte ein Franzose, der offenbar vor einer Kamera den Hitlergruß gezeigt hat. Auch Steffen Degler, Schriftführer der Jungen Alternativen Baden-Württemberg, schlug Bälle ab. Degler ist Listenzweiter der AfD zur Gemeinderatswahl in Stuttgart. Er begleitete JA-Landessprecher Severin Köhler. Die beschriebene Szene stammt aus dem Trailer zum Gründungsevent des „Patriots Network“ und zeigt, wie sehr sich die Landesspitze der JA um internationale Kontakte bemüht. Diese Bemühungen gehen auch über dieses Netzwerk hinaus.
Ein Überblick über die Social-Media-Profile der Jungen Alternative zeigt zwei Stränge: Da ist das „Patriots Network“, in dem sich Rechtsradikale von Santiago de Chile bis nach Seoul bewegen. Darunter sind auch eine Anführerin der Parteijugend des ungarischen Autokraten Viktor Orbán und US-Republikaner, die dem Ex-Präsidenten Donald Trump offenbar absolut treu sind. Zu Letzteren pflegt die JA Baden-Württemberg schon länger Kontakte. Eingefädelt wurden diese offenbar über Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat zur Europawahl. Dessen Verharmlosung der Nazi-Verbrecherorganisation SS sorgte zuletzt dafür, dass die AfD aus der rechtsradikalen ID-Fraktion im EU-Parlament ausgeschlossen wurde.
Auf der Gemeinderatsliste der AfD stehen drei Landesvorstandsmitglieder der Jungen Alternative Baden-Württemberg. Bundesweit bewertet der Verfassungsschutz die AfD-Jugend seit 2023 als „gesichert extremistische Bestrebung“. Fachleute betrachten sie als Radikalisierungstreiber der Partei.
JA-Landesvorstandsmitglieder verharmlosen Kontakte zu Rechtsradikalen-Netzwerk
Degler machte aus seiner Offenheit für rechtsextremes Gedankengut im „Wählbar“-Interview von STUGGI.TV keinen Hehl. Im von ihm moderierten JA-Podcast sind immer wieder Akteure vom ganz rechten Rand der Partei zu Gast. Hinter ihm auf Platz 8 kandidiert der stellvertretende Landessprecher Manuel Schneider. Auf dem wenig aussichtsreichen Platz 17 tritt Arthur Hammerschmidt an. Mit Hammerschmidts Namen sind die meisten Nachrichten im Telegram-Kanal des Landesverbandes signiert. Alle drei standen auf der veröffentlichten Teilnehmerliste des Golfturniers. Schneider verwies allerdings auf Anfrage darauf, dass er wegen einer Demonstration in Baden-Württemberg geblieben sei. Dies bestätigen Zeitungsberichte. Hammerschmidt ließ eine STUGGI.TV-Anfrage unbeantwortet.
Im anscheinend von Hammerschmidt bespielten Kanal verbreitete die JA ein Foto, das Degler und Severin Köhler, JA-Landessprecher, auf dem Treffen in Südfrankreich zeigt. Hammerschmidt nahm laut der Selbstdarstellung der Organisatoren ebenfalls teil. Es handle sich um ein „Treffen patriotischer Jugendorganisationen aus ganz Europa“. Genannt werden Rechtsradikale aus Frankreich, Italien, den Niederlanden, Tschechien und Finnland. Das Netzwerk reicht jedoch bis nach Südamerika und Asien. Degler und Köhler wollen dort die Junge Alternative vertreten haben. Beide behaupteten auf Nachfrage, dass es sich dabei lediglich um ein Treffen junger Konservativer gehandelt habe. Doch ein genauerer Blick zeigt: In dem Netzwerk bewegt sich die aktuelle Speerspitze rechtsradikaler Parteien.
JA-Landessprecher Köhler will vom „Erfahrungsschatz“ internationaler Rechtsradikaler „profitieren“
Als „President“ des „Patriots Network“ präsentiert sich Enzo Alias, der bereits 2021 für den französischen Rassemblement National von Marine Le Pen bei den Kommunalwahlen kandidierte. Damals unterstützte ihn die baden-württembergische JA im Wahlkampf, wie auf ihrer Facebook-Seite nachzulesen ist. Der Fernsehsender „France 3“ veröffentlichte 2022 ein Foto, das Alias beim Hitlergruß zeigt. Degler und Köhler behaupteten übereinstimmend, das Foto sei laut Alias eine Fälschung und sei „ungeprüft“ von dem Sender übernommen worden. Das stimmt nicht: „France 3“ hat das Foto recht aufwendig technisch prüfen lassen und keinerlei Hinweise auf eine Fälschung gefunden. Alias Stellvertreter an der Spitze des Netzwerkes ist Davide Quadri, ein führendes Mitglied der Jugendorganisation der Lega Nord von Matteo Salvini und Mitarbeiter der rechtsradikalen EU-Parlamentsfraktion „Identität und Demokratie“, der die AfD bis Ende Mai angehörte.
Unterhalb der Führungsebene gibt es etwas mehr als zwei Dutzend „Koordinatoren“ des Netzwerkes in ihren jeweiligen Ländern. Die meisten sind eher kleine Lichter ihrer zumeist europäischen Rechtsaußenparteien. Insbesondere aus südamerikanischen Staaten kamen zuletzt noch mehrere Vertreter hinzu. Der südamerikanische Arm des Netzwerkes ist offenbar noch in Gründung begriffen, wie Köhler im von Degler moderierten JA-Podcast kundtat. Köhler wird als Deutschland-Verantwortlicher genannt. Der JA-Landessprecher beschreibt seine Rolle als deutscher Koordinator des „Patriots Network“ auf Anfrage so: „Koordinatoren tauschen sich bezüglich Programmatik, Kampagnenplanung und Durchführung aus“. Man wolle vom „Erfahrungsschatz anderer Organisationen profitieren“.
Angehörige des Nachwuchs-Rechtsradikalen-Netzwerks: Eine sticht heraus
Eine von der Köhler hinsichtlich dessen wohl viel lernen könnte, ist Dora Hidas. Sie ist eine der wenigen europäischen Vertreterinnen im „Patriots Network“, die eher in der ersten Reihe ihrer Partei stehen. Die Juristin ist Internationale Sekretärin der Jugendorganisation von Orbáns Partei Fidesz. Sie war, nach eigenen Angaben, bis vergangenen Sommer zudem stellvertretende Vorsitzende der Nachwuchsorganisation der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch die CDU angehört. Hidas Partei, die Fidesz, wurde bereits zuvor zum Austritt aus der EVP gezwungen. Gründe dafür waren die Zerschlagung des ungarischen Rechtsstaates und eine antisemitisch konnotierte Kampagne gegen konservative EU-Politiker. 2016 schloss Ungarn seine Grenze zu Serbien. Seitdem begehen dort Grenzjäger-Einheiten, die teils mit Rechtsextremen durchsetzt sind, immer wieder rassistisch motivierte Verbrechen an Migranten, die trotzdem versuchen, ins Land zu gelangen.
Viele Vertreter der AfD bewundern Orbáns Politik gegen Migranten, die EU und den liberalen Rechtsstaat. Der rechtsextreme thüringische Landeschef Björn Höcke bezeichnete Orbán 2022 etwa als „Vorbild“ und einen der „letzten Staatsmänner Europas“.
EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah „ermöglichte“ der JA Baden-Württemberg „Partnerschaft“ mit Trump-Republikanern
Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hetzte seine Anhänger am 6. Januar 2021 auf das Parlament der USA, um die Zertifizierung von Joe Bidens Wahlsieg bei der Präsidentschaftswahl zu verhindern. Trumps „Make America Great Again“ (MAGA)-Bewegung hat längst die Republikanische Partei übernommen. Er will bei den Präsidentschaftswahlen im November 2024 noch einmal antreten. Sollte er verlieren, rechnen viele Beobachter mit einem erneuten Gewaltausbruch. Zum besonders radikalen Arm der Republikanischen Partei scheint die baden-württembergische JA schon länger freundschaftliche Kontakte zu pflegen. So reiste Köhler 2022 mit Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat zur EU-Wahl, in die USA und schloss eine „Partnerschaft“ mit den New York Young Republicans. Köhler sagte damals, Krah habe dieses Bündnis „ermöglicht“.
JA-Landessprecher Köhler empfing Trump-Republikaner im Stuttgarter Landtag
Köhler empfing im selben Jahr deren Vize-Chef Nathan Berger im Landtag. Berger sieht sich als „Kraft der MAGA-Bewegung“, die Ex-US-Präsident Donald Trump trägt. Das sagte er dem ungarischen Propaganda-Medium „Hungarian Conservative“. Im selben Interview sagte Berger, dass die New York Young Republicans internationale Netzwerke zu Gleichgesinnten aufbauen. Enge Kontakte bestehen wohl in das vom Autokraten Orbán regierte Ungarn. Treue zu Trump bewiesen die Jungrepublikaner unter anderem mit einem Statement zu den Anklagen gegen den Ex-Präsidenten. Darin erklärten sie die Verfahren vor unabhängigen Gerichten zum „totalen Krieg“ gegen den „Deepstate“ und eine „linksradikale, internationalistische Verschwörung“, die sie hinter allem wähnten. Im ebenfalls von der ungarischen Regierung finanzierten „European Conservative“ schrieb Berger von „globalistischen, westlichen Nichtregierungsorganisationen“, die mit „milliardenschweren“ Budgets die Politik vieler Staaten zu steuern versuchten. Die Gefahr durch „Globalisten“ wird auch auf dem Instagram-Account des „Patriot Network“ beschworen.
Der sogenannte „Deepstate“, „Globalisten“ und „linksradikale“ Verschwörungen hinter Anklagen gegen Trump: Alles bekannte antisemitische Codes, mit dem Ziel, Juden als Schuldige hinter allem Schlechten in der Welt auszumachen. JA-Landessprecher Köhler distanzierte sich auf Nachfrage nicht von den Äußerungen Bergers und seiner Organisation.
VIDEO: AfD-Kandidat Steffen Degler im STUGGI.TV Interview
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