Stellt euch vor, ihr bekommt die Diagnose einer unheilbaren Krankheit und habt euch bereits mit dem Tod angefreundet - und dürft auf einmal doch noch weiterleben. In seinem Debüt-Roman "Immer noch wach" zieht der Stuttgarter Autor Fabian Neidhardt die Leser durch ein Wechselbad der Gefühle.
Die Handlung: „Carpe Diem“ vom Feinsten
Das Buch beginnt mit dem 30-jährigen Protagonisten Alex, der im Taxi Richtung Hospiz sitzt. Die Diagnose: Magenkrebs. Nachdem er bereits seinen Vater an die schreckliche Krankheit verloren hat, entscheidet sich Alex gegen jegliche Krebsmaßnahmen. In einem Sterbehospiz im Norden Deuschlands will er sich zurückziehen und lässt damit Freunde, Lebensgefährtin und das frisch eröffnete eigene Café in Stuttgart zurück. Eigentlich hat Alex bereits mit seinem Leben abgeschlossen. Viele emotionale Mono- und Dialoge später wendet sich plötzlich das Blatt: Die Hospiz-Ärztin beichtet ihm, dass angeblich die Befunde vertauscht wurden und sein Tumor gar nicht bösartig ist. Ganz nach dem Motto „Carpe Diem“ will er nun sein Leben nochmal neu anfangen und wagt Dinge, die sein altes Ich sich wohl nicht einmal im Traum hätte ausdenken können.
Zwischen Schock, Angst, Witz und Trauer
Bruchteilhaft bekommt der Leser in Happen die Hintergrundstory mitgeteilt: Wie Alex seinem Vater beim Sterben zusehen musste, wie er seine Freundin Lisa kennengelernt hat, wie ihn die Diagnose aus dem Alltag riss. Es liegt in diesem Fall beim Leser, sich die richtige Reihenfolge zusammenzureimen. Erst gegen Ende des Buches lernt man den Charakter Alex vollständig kennen. Egal ob Angst, Witz oder Trauer: Die Charaktere sind realitätsnah und machen es einem leicht, eine persönliche Beziehung zu ihnen aufzubauen. Besonders durch Alex‘ innere Monologe bekommt man die volle Dröhnung einer emotionalen Achterbahn mit. Es handelt sich definitiv um keine Lektüre, die man als emotionaler Mensch abends „mal soeben weglesen“ kann. Ohne ein Blatt vor dem Mund werden auch Hospiz- und Krankenhaus-Szenen mit all den unschönen Erscheinungen beschrieben.
Die Bewertung: Eine emotionale Reise
Der Roman steckt in jedem Fall voller Herzschmerz. Wie auch der Hauptdarsteller selbst wandelt man im Laufe des Buches von Resignation zu Trauer zu Hoffnung zu Freude, und wieder zurück zur Trauer. Fabian Neidhardt nimmt seine Leser mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt – von den tiefsten Tiefen in die höchsten Höhen. Gerade der Plot Twist am Ende ist schwer zu begreifen. Die Frage, ob so ein Fehler in der modernen Medizin überhaupt realistisch sein kann, ist sicher berechtigt. Mit Krebs und Tod behandelt „Immer noch wach“ zwei hochemotionale Themen, die gerne mal auf die Tränendrüse drücken. Gleichzeitig bringt der Plot den nötigen Alltags- und Realitätsbezug mit. Die Story hat durchaus Potential, die Leser selbst bis um drei Uhr nachts „immer noch wach“ zu halten, sowie an der ein oder anderen Stelle ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.
Über Fabian Neidhardt
Fabian Neidhardt ist gebürtiger Pforzheimer, absolvierte zunächst ein Volontariat beim Radio und studierte Sprechkunst und Kommunikationspädagogik in Stuttgart. Schließlich zog es ihn für ein Studium des Literarischen Schreibens an die Uni Hildesheim. Für seinen Debüt-Roman verbrachte Neidhardt 2017 eine Woche in einem Stuttgarter Hospiz, um die Situation dort akkurat beschreiben zu können. Fun Fact: Das Vorbild für das Café im Roman lieferte das Stuttgarter Café „Metzgerei“ im Stuttgarter Westen.
VIDEO: Stuttgarter Sängerin Paula Mattes weckt mit neuer Single das „Fernweh“
Das Video wird nicht angezeigt? Dann hier klicken.
Foto: STUGGI.TV