Abtreibungen in Deutschland: Ist unser Gesetz noch zeitgemäß?
Frankreich ist das erste Land weltweit, welches das Recht auf Abtreibung in seine Verfassung geschrieben hat. Legal sind Schwangerschaftsabbrüche dort schon seit 1975. In Deutschland hingegen sind Abtreibungen im Strafgesetzbuch seit 150 Jahren verankert. Sollte Deutschland dem französischen Vorbild folgen und Abtreibungen zu einem Grundrecht machen?
Aktuelle Gesetzeslage in Deutschland
Die „Freiheit zur Abtreibung“ wurde Anfang März in die französische Verfassung aufgenommen. Mit diesem Beschluss ist unser Nachbarland ein weltweiter Vorreiter. In Deutschland sieht die Gesetzeslage anders aus: Ein Schwangerschaftsabbruch ist nach §218 Strafgesetzbuch (StGB) zwar grundsätzlich strafbar, jedoch wird er unter bestimmten Voraussetzungen nicht geahndet. Abtreibungen werden nicht bestraft, wenn sie nach den Vorgaben der sogenannten „Beratungsregelung“ vorgenommen werden. Diese besagt, dass mindestens drei Tage vor dem Eingriff eine Schwangerschaftskonfliktberatung durch eine staatlich anerkannte Beratungsstelle (sprich nicht von der Ärztin/dem Arzt) wahrgenommen wird. Hierbei muss ein sogenannter Beratungsschein erhalten werden. Straflos bleibt ein Schwangerschaftsabbruch zudem, wenn seit der Befruchtung nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.
Die Beratungsregel: Widersprüchlich?
„Ziel bei der Beratung ist eigentlich die Entscheidungsfindung. Dabei soll man weder bevormunden noch beeinflussen“, erklärt Britta Grotwinkel, Leiterin der Städtischen Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen und Schwangerschaftskonflikte. Jedoch sieht sie auch Widersprüche im Gesetz. Einerseits solle die Beratung ergebnisoffen sein, andererseits solle sie dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen. Außerdem handle es sich aufgrund der gesetzlichen Vorlage um eine Zwangsberatung. „Beratung kann man aber eigentlich nicht erzwingen. Man merkt, irgendwie passt das nicht zusammen“, so Grotwinkel. Über 80 Prozent der schwangeren Frauen sind sich bereits vor dem Beratungsgespräch über ihre Entscheidung bewusst. „Meine Erfahrung als langjährige Beraterin zeigt, dass Frauen und auch Paare die Entscheidung sehr gut für sich selbst treffen können – in voller Verantwortung.“ Trotzdem könne eine Beratung, vor allem bei Frauen mit ambivalenter Meinung, eine neutrale Stütze bieten.
Probleme in Stuttgart und Region
Neben der Gesetzeslage gibt es laut Grotwinkel noch einige weitere Herausforderungen. „Das Thema Schwangerschaftsabbrüche ist einfach ein Tabu-Thema“, sagt sie. Man diskutiere in Stuttgart bereits mit unterschiedlichen Gremien die medizinische Versorgungslage, also welche Ärztinnen und Ärzte überhaupt Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Auch über die Frage, warum Abtreibungen keine medizinische Kassenleistung sind, sondern normalerweise von den Frauen selbst übernommen werden müssen, könne man Grotwinkel zufolge diskutieren. Zudem würden Lebensschützer häufig die Arbeit erschweren, weshalb es bereits gesetzliche Überlegungen zu Gehsteigbelästigungen gebe. „Frauen werden teilweise vor Praxen belästigt und beschimpft, was nicht in Ordnung ist“, erzählt die Sprecherin der kommunalen Beratungsstellen in Baden-Württemberg. Zudem habe sie die Erfahrung gemacht, dass vor allem in ländlichen Bereichen Frauen häufig lange Fahrten für einen Schwangerschaftsabbruch auf sich nehmen müssen. „Da sollten wir als Landeshauptstadt Stuttgart nochmal Überlegungen anstellen, wie wir die Versorgungslage auch für den ländlichen Raum verbessern können“, so Grotwinkel.
Brauchen wir eine neue Debatte?
Ist die Gesetzeslage in Deutschland noch aktuell? Die Bundesregierung hat bereits eine Kommission eingerichtet, um zu prüfen, ob das Gesetz noch zeitgemäß ist und Schwangerschaftsabbrüche auch anders als im Strafgesetzbuch geregelt werden könnten. Dem Vorbild Frankreich folgen und Abtreibungen in der Verfassung verankern? Bis dahin ist es laut Grotwinkel noch ein langer Weg. „Die beiden Länder sind schwer zu vergleichen, da in Frankreich Schwangerschaftsabbrüche bereits seit 1975 legal sind. Den Schritt, den die Regierung dort nun gegangen ist, ist nochmal ein riesiger Fortschritt. Da sind wir noch weit entfernt.“ Trotzdem seien Überlegungen zu einer straffreien Regelung in Deutschland angebracht.
Foto: STUGGI.TV