Nicht nur bunte Farben: Indisches Filmfestival macht auf Missstände aufmerksam
Ein indisches Filmfestival? Da denkt man zunächst an tanzende Menschen in bunten Gewändern und abenteuerliche Stunts. Beim 13. Indischen Filmfestival in Stuttgart ging es auch um die Missstände in dem asiatischen Schwellenland. Praktikant David Rückle war bei einem Vortrag vor Ort.
VON DAVID RÜCKLE
Bei einer Veranstaltung von „Terre des hommes“ haben zwei Inderinnen, welche für Hilfsorganisationen in Indien arbeiten, die Situation der Kinder aus ihrer eigenen Sicht beschrieben. Sumati Panicker arbeitet ehrenamtlich für die Hilfsorganisation „Terres des hommes“. Ihr Vortrag handelte hauptsächlich von der schlechten Lebenssituation vieler indischer Kinder, weshalb diese auch arbeiten müssen. Das „Global March Against Child Labour“, wo die zweite Referentin Priyanka Ribhu arbeitet, hilft den Kinder sich aus der Armut zu befreien, indem sie an verschiedenen Orten in ganz Indien Dörfer bauen, wo diese Kinder sicher leben können und Unterricht bekommen.
Die Prozentzahl der Kinder, welche in Indien arbeiten müssen ist erschreckend. 12 % der indischen Kinder müssen Kinderarbeit verrichten. Viele dieser Arbeiten sind gesundheitsschädlich, die Kinder werden misshandelt und geschlagen, sie haben keinerlei Chancen, aus dieser schlechten Situation zu entkommen. Die Hauptursache für die Kinderarbeit ist Armut. Da es in Indien immer noch Schuldknechtschaft gibt, müssen viele Familien ihre Kinder abgeben, um ihre Schulden abbezahlen zu können. Bei anderen Kindern wird den Eltern und der Familie versprochen, dass das Kind in eine Schule kommt, damit es dort Unterricht bekommt.
Alle diese Kinder müssen dann unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten. Die Kinder werden vor allem in Fabriken für Textilwaren, Teppiche, Seide und in die Industrie für Diamanten und Edelsteine gesteckt. Damit bei Kontrollen keine Kinderarbeit entdeckt wird, werden die dort arbeitenden Kinder immer als Lehrlinge ausgegeben, weshalb solche Fabriken immer etwa 90% Lehrlinge haben. Die arbeitenden Kinder sind zwischen 4 und 14 Jahren alt. Die meisten müssen sieben Tage die Woche arbeiten, ein Arbeitstag kann bis zu 18 Stunden gehen und am Tag bekommen sie höchsten eine Pause zum Essen. In der Teppich- oder Seide-Herstellung bekommen die Kinder Atemwegserkrankungen, da sie Wolle, Rauch oder andere schädliche Substanzen einatmen. Wenn ein Kind blutet und somit die Rohstoffe dreckig macht, wird es erst geschlagen, danach wird Chili in die Wunde gerieben, damit sie nicht mehr weiter blutet. Durch diese Handlungen merkt man, dass die Arbeitgeber der Kinder nur auf ihren eigenen Gewinn aus sind und die Gesundheit der Kinder ihnen komplett egal ist. Ein weiterer sehr großer Ausbeutungsplatz in Indien ist die Diamanten und Edelstein Industrie. Indien hat die weltgrößte Industrie für diese Luxuswaren und da Kinder sehr billige Arbeitskräfte sind, werden sie oft zum Feinschliff der Diamanten eingesetzt, da sie kleinere Finger als erwachsene Arbeiter haben, wodurch sie diese Arbeit besser verrichten können.
Neben der Tatsache, dass Kinderarbeiter sehr billige Arbeitskräfte sind, ist ein weiterer großer Grund, warum so viele Fabriken Kinder als Arbeiter haben wollen, dass die körperlichen Fähigkeiten der Kinder in manchen Fällen besser nutzbar sind als die von älteren Arbeitern. Ein Kind hat meistens eine bessere Sehstärke als ein Erwachsener, außerdem haben sie keine zitternden Hände oder sonstige Probleme, die im Alter auftauchen könnten.
Außer der Arbeit in Fabriken werden viele indische Kinder auch zwangsverheiratet oder zwangsprostituiert. Rund ein Viertel dieser Kinder wurden entführt, etwa sechs Prozent vergewaltigt und acht Prozent der Kinder wurden von ihren eigenen Vätern misshandelt und dann verkauft.
An dieser Stelle fragt man sich immer, ob die Kinder in Indien überhaupt keine Rechte haben und warum das nicht geändert wird, aber eigentlich gibt es mehrere Rechte zum Schutz vor Kinderarbeit und ähnlichem. Diese Rechte für Kinder sind seit dem Beitritt Indiens zur UN Kinderrechtskonvention im Jahr 1992 eigentlich stark verbessert worden. Wichtige Punkte aus dieser Konvention sind das Diskriminierungsverbot, der Vorrang des Kinderwohls, das Recht für Kinder auf ein Leben und das Recht auf Bildung. Außerdem wird mittlerweile jede Form der Versklavung und gefährlicher Kinderarbeit verboten, für die sexuelle Ausbeutung eines Kindes kann man eine Gefängnisstrafe von sieben Jahren bis lebenslänglich erhalten. Warum gibt es bei diesem rechtlichen Hintergrund dann immmernoch so viel Kinderarbeit?
Sumati Panicker meint, dass die Gesetze nicht durchgesetzt werden, da es sehr viel Lobbyismus in Indien gibt, wodurch die Kontrollen bei den einzelnen Firmen bekannt sind, damit sie Vorbereitungen treffen können, oder die Kontrollen werden gar nicht richtig durchgeführt. Ein genereller Lösungsansatz ist ihrer Meinung nach, dass man vor allem in ländlichen Gegenden Schulen einrichten muss, da die dort lebenden Kinder und Familien mehr Aufklärung benötigen. Außerdem sind die Möglichkeiten in Indien mit einem Schulabschluss etwas zu erreichen nur vorhanden, wenn man auf einer Privatschule unterrichtet wurde. Wenn also die Kinder aus der Armut in die Schule gehen können, hilft es ihnen zwar sehr viel, denn sie lernen dort lebenswichtige Grundlagen und müssen keine Kinderarbeit verrichten, aber mit den Schulabschlüssen, welche sie dort erhalten, können sie leider nichts anfangen.
Sumati Panicker kämpft deshalb vor allem dafür, dass die in Armut lebenden Kinder, welche auf die Schule gehen, später mit ihrem Abschluss etwas anfangen können, sonst müssen sie eben nach ihrer Schulzeit zu schlechten Bedingungen arbeiten und die viele Arbeit würde sich nicht ausbezahlen.
Die zweite Referentin, Priyanka Ribhu, versucht dieses Problem der schlechten Schulbildung zu lösen. Mit ihrer Organisation „Global March Against Child Labour“ baut sie, vor allem in ländlichen Gebieten, Dörfer für die Kinder, wo sie unterrichtet werden und in Sicherheit leben und spielen können. Die Organisation kümmert sich um misshandelte Kinder, deren Rettung, die Bereitstellung von sofortiger Versorgung und Unterstützung und um die Verfolgung der Arbeitgeber der Kinder. In den Dörfern, den sogenannten „Child Friendly Villages“ oder auf indisch „Bal Mitra Gram“, versucht man, dass die Kinder eine Gemeinschaft werden. Sie werden in Entscheidungen mit einbezogen, beispielsweise wenn es Änderungen in der Infrastruktur eines Dorfes geben soll, aber auch bei vielen anderen Dingen. In den Dörfern wird ein gesellschaftliches System verwendet, was man mit unseren Schulen ein wenig vergleichen kann. Für einzelne Gruppen in den Dörfern gibt es Kinder, die diese Gruppe vertreten, also eine Art Klassensprecher. Es gibt dann eine Art Parlament, wo manche Kinder, wie in der Politik, mehr bestimmen können als andere. Das hier verwendete System ist also auch dafür da, dass sich Kinder später an gesellschaftliche Systeme, welche in der „echten“ Welt herrschen, gewöhnen können.
Die Hauptaussage des Vortrags von Sumati Panicker und Priyanka Ribhu ist also, dass man versuchen sollte, die Kinder aus der Armut zu befreien und ihnen eine Möglichkeit zu geben, in ihrem späteren Leben selbstständig leben zu können, ohne menschenunwürdige Arbeit verrichten zu müssen. Für wichtig empfanden sie auch, dass alle Hilfsorganisationen gemeinsam arbeiten und somit alle auf ein Ziel hinauswollen. Das Ziel ist eigentlich, Armut abzuschaffen, denn durch sie gibt es die vielen Missstände. Es wird zwar immer schwierig sein dieses Ziel zu verwirklichen, aber versuchen wollen sie es auch weiterhin.
Fotos: Filmbüro BW