Stuttgart-Talk zum „Haus des Tourismus“: Schnelle Entscheidung bedenklich?
An zentraler Stelle in Stuttgart-Mitte wird ein großes Gebäude frei. Der Herrenausstatter „Breitling“ gibt sein Geschäft auf und möchte sein Haus in unmittelbarer Nachbarschaft zu Rathaus und Breuninger vermieten. Ein "Haus des Tourismus" soll dem Marktplatz mehr Leben einhauchen. Am Donnerstag könnte der Gemeinderat den Weg für den knapp 10-Millionen teuren Zuschuss freimachen.
Der Stuttgart-Talk
Die neue Clubhouse-App sorgt für viele Diskussionen, auch weil sie bisher nur für Apple-User zur Verfügung steht. Nachdem die erste Folge größtenteils positive Rückmeldungen nach sich gezogen hatte, veranstaltete David Rau, Chefredakteur von STUGGI.TV, am Dienstagabend den zweiten „Stuttgart-Talk“. Für alle Nicht-Clubhouse-User steht dieser Artikel zum Nachlesen zur Verfügung.
Das Thema: Wozu braucht es ein „Haus des Tourismus“ am Marktplatz?
Der Marktplatz in Stuttgart bekommt derzeit ein Schönheits-Update. Doch bei den Renovierungsarbeiten an einem der prominentesten Plätze der Stadt wird es wohl nicht bleiben. Der Herrenausstatter „Breitling“ gibt sein Geschäft auf und möchte sein Haus in unmittelbarer Nachbarschaft zu Rathaus und Breuninger vermieten. Stuttgart Marketing und dessen Geschäftsführer Armin Dellnitz haben die Chance ergriffen und wollen in das Gebäude umziehen, um es zu einem „Haus des Tourismus“ zu machen. Hier sollen Tourismus-Zentrum, Gastronomie und Showrooms regionaler Unternehmen vereint werden. Die Stadt will dafür knapp zehn Millionen Euro investieren. Hat dieser Ort nicht Potenzial für weitere Ideen?
Die Gäste:
- Andreas Winter, Fraktionsvorsitzender der Grünen
- Maximilian Mörseburg, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU
- Sibel Yüksel, FDP-Fraktionsvorsitzende
- Thorsten Puttenat, Vorsitzender der Fraktionsgemeinschaft „Puls“
- Live zugeschalten haben sich die Stadträte Luigi Pantisano (Die Fraktion) und Dejan Perc (SPD)
Die Einstiegsfrage: Was macht den Stuttgarter Marktplatz aus?
Zu Beginn wollte Moderator David Rau von seinen Gästen wissen, was sie ganz persönlich mit dem Marktplatz verbinden. „Wenn nicht gerade Markt oder Kultur-Events stattfinden“, gibt der Stuttgarter Grünen-Chef Andreas Winter zu, sei „der Marktplatz ein trostloser Ort“. Es müsse dort wieder mehr Leben einkehren. Maximilian Mörseburg verbindet mit dem Marktplatz vor allem seinen Wochenend-Einkauf mit der Freundin. Der 28-jährige CDU-Stadtrat beklagt das Aussterben der Gastronomie. „Der Marktplatz ist das Herz des Stadtlebens. Dort muss sich wieder mehr bewegen“, so Mörseburg.
Sibel Yüksel (FDP) sieht den Marktplatz weniger als das Herz der Stadt, sondern verbindet die Fläche mehr mit interkulturellen Events wie dem Festival der Kulturen. „Das zeigt die Vielfalt, die in unserer Stadt möglich ist“, sagt Yüksel. Der Fraktionsvorsitzende der Puls-Fraktion Thorsten Puttenat stellt fest: „Wir Stuttgarter haben leider weniger Bezug zu unserem Marktplatz als in anderen Städten.“
Kann das „Haus des Tourismus“ zu einem Publikumsmagneten werden?
Die beiden Fraktionschefs Andreas Winter (Grüne) und Sibel Yüksel (FDP) sprechen sich klar für das „Haus des Tourismus“ und damit dem Konzept von Stuttgart Marketing aus. „Ich bin überzeugt davon, dass das ein Publikumsmagnet wird“, sagt Yüksel. Gerade in und nach der Corona-Pandemie müsse man die Tourismusbranche in Stuttgart langfristig unterstützen.
Thorsten Puttenat sieht das anders. „Das Haus des Tourismus ist nicht die Antwort darauf, was wir am Marktplatz brauchen“, sagt der Puls-Stadtrat. Ginge es nach der Stuttgarter CDU hätte das „Haus des Tourismus“ eigentlich am Hauptbahnhof eröffnen sollen. „Das Konzept ist auf der Höhe der Zeit“, sagt Stadtrat Mörseburg. Die von der CDU zuerst forcierte Öffnung eines Apple Stores im Breitling-Gebäude sei „nur eine Metapher für die Möglichkeiten an diesem Standort gewesen.“
„Stuttgart ist mehr als nur Mercedes, Porsche und Volksfest“
Hat Stuttgart das Potential für eine Touristen-Hochburg? Thorsten Puttenat meint: „Das sind wir doch gar nicht“. Am Marktplatz würde er lieber ein „Haus der Kulturen“ sehen. Diese Idee unterstützt Stadtrat Luigi Pantisano (SÖS), der sich live in die Diskussion miteinbringt. „Stuttgart ist mehr als nur Mercedes, Porsche und Volksfest.“ Zwei Alternativkonzepte für die Nutzung des Breitling-Gebäudes würden im Gemeinderat nicht diskutiert werden. Stattdessen habe man den Eindruck, das Tourismus-Haus solle mit aller Macht umgesetzt werden.
Sibel Yüksel hält dagegen: Für ein Haus der Kulturen müssen erst Konzepte erarbeitet werden, bevor Prozesse dazu angestoßen werden können. „Wir sollten lieber etwas mit Konzept realisieren, statt etwas ’schnell, schnell‘ zu entscheiden“, sagt Yüksel.
Grünen-Chef Winter schlägt eine Art „Haus des Tourismus plus“ vor
Grünen-Chef Winter ist ebenso für eine schnelle Entscheidung („Müssen da dranbleiben“) und wirft die Idee einer Art Mischlösung in den Raum. „Warum nicht ein offenes Haus, um Stuttgarter und Gäste zusammenzuführen? Dann wächst ein Stückchen Region in die Stadt hinein und umgekehrt“, sagt Winter. Das wäre dann die Variante des „Haus des Tourismus plus“, wirft Moderator David Rau in Anlehnung an die S21-Schlichtungsgespräche ein.
In der Schlussrunde möchte er von seinen Gästen wissen, ob sie im Gemeinderat am Donnerstag dem Konzept zustimmen werden. Andreas Winter, Maximilian Mörseburg und Sibel Yüksel signalisieren ein klares „Ja“. Die Stadträte Luigi Pantisano und Thorsten Puttenat ein „Nein“.
„Bedenklich, dass über so eine Summe so schnell entschieden wird“
Zum Ende schaltet sich der SPD-Kreisvorsitzende Dejan Perc spontan in die Runde dazu. Perc zeigt sich skeptisch, ob „schnell entscheiden in dieser Sache wirklich der richtige Weg ist“. Vielmehr müssen die Bürger bei solchen Entscheidungen mehr Beteiligung erfahren. „Es ist schon bedenklich, dass über so eine beachtliche Summe so schnell entschieden wird.“
Puttenat ergänzt, er sei vor allem von der Ideenlosigkeit im Gemeinderat enttäuscht. Der Puls-Vorsitzende sieht viele weitere Nutzungs-Möglichkeiten für das Breitling-Gebäude: „Wir haben die Diskussion um das Gebäude viel zu spät begonnen“. Sollte es zu keiner überraschende Wende kommen, wird eine Mehrheit im Gemeinderat den Weg für das „Haus des Tourismus“ an diesem Donnerstag freimachen.
VIDEO: Eine Zeitreise – das wünschten sich die Stuttgarter bereits 2016 vom Marktplatz
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Fotografik: STUGGI.TV